Der Europäische Gerichtshof interveniert mit Urteil C-846/19 vom 15. April 2021 um Klarheit bezüglich Anwendung der MwSt. auf Leistungen für Dienste zu schaffen, die von einem Rechtsanwalt im Rahmen der Schutztätigkeit für rechtlich hilflos erklärte Erwachsene im Auftrag der zuständigen Gerichtsbehörde erbracht wurden.
Der Fall
Bei dem vom EuGH abgeschlossenen Fall hat ein luxemburgischer Rechtsanwalt für seine Tätigkeit als rechtliche Vertretung von Volljährigen in seiner Eigenschaft als Beauftragter, Kurator und Vormundschaftsverwalter nicht die MwSt. angewandt. Der Rechtsanwalt war im Streit mit der Luxemburger Finanzverwaltung, die von ihm die Bezahlung der MwSt. für seine erbrachten Leistungen zugunsten der Menschen mit Behinderung einforderte.
Der Rechtsanwalt verteidigt sich mit dem Argument, dass diese Leistungen nicht in die Tätigkeiten fallen, auf die die MwSt. angewandt wird, weil es sich um eine soziale Funktion handelt und kraft des staatlichen luxemburgischen Gesetzes deswegen MwSt. frei ist.
Die Steuerverwaltung hingegen behauptet, dass alle Tätigkeiten des Rechtsanwaltes in die wirtschaftliche Tätigkeit, für die die MwSt. angewandt wird, fallen und dass der Rechtsanwalt keine Einrichtung mit sozialem Charakter darstellt. Der Luxemburger Richter wendet sich, mit Vorabentscheidungsersuchen, an den EuGH.
Der Gerichtshof befasst sich mit zwei Fragen:
- Der Gerichtshof fragt sich, ob die erbrachten Leistungen zugunsten rechtlich hilflos erklärter Erwachsenen und dazu bestimmt, sie bei den Handlungen des täglichen Lebens zu schützen, eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen.
Laut MwSt. Richtlinie 2006/122/CE, Art. 9, Par. 1, gilt als «passives Subjekt», „jeder der eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt“.
Hingegen gelten als «wirtschaftliche Tätigkeit» „alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen“.
Für den Gerichtshof fällt auch die Tätigkeit zugunsten rechtlich hilflos erklärter Menschen unter den Begriff „wirtschaftliche“ Tätigkeit, wenn sie gegen Bezahlung erbracht wird. Auch die Tatsache, dass die Vergütung niedriger sei als der Aufwand für die erbrachte Leistung, gilt nicht um die Entgeltlichkeit der Leistung auszuschließen. Weiters ist für den Gerichtshof der Fakt ausschlaggebend, dass „die Höhe der Vergütung gemäß Kriterien festgelegt sei, die angemessen sind, die Betriebskosten des Leistungserbringers zu decken“, d.h. die Ausübung des Mandats.
Im Falle des vom Gerichtshof überprüften luxemburgischen Rechtsanwaltes gibt es diese Angemessenheit, weil er die Tätigkeit als Sachwalter dauerhaft (seit 2004) ausgeübt hat und nichts schien darauf hinzuweisen, dass die Höhe der Erlöse aus dieser Tätigkeit nicht ausreichend verglichen mit den Betriebskosten sei.
Es ist wichtig zu unterstreichen dass laut den Richtern des Europäischen Gerichtshofes, wenn die Tätigkeit in der Verwaltung des Vermögens der geschützten Person besteht, diese dauerhaft ist und konkret der Beschaffung von Einnahmen dient, dies als wirtschaftliche Tätigkeit betrachtet werden kann und somit der MwSt. unterliegt
- Die zweite Frage betrifft den sozialen Charakter der Leistung und die MwSt.-Befreiung
Laut Art. 132, Par. 1, Buchstabe „g“ der MwSt. - Richtlinie werden Befreiungen zugunsten einiger Tätigkeiten im öffentlichen Interesse angewandt, unter anderem für „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.
Der Gerichtshof bestätigt, dass die Leistungen zugunsten rechtlich hilflos erklärter Menschen für Dienste , die zum Schutz ihrer Handlungen des täglichen Lebens erbracht werden, gemäss MwSt. - Richtlinie unter den Begriff „Dienstleistungen eng mit sozialer Fürsorge und Beistand verbunden“ fallen.
Weiters präzisiert der Gerichtshof, dass es jedem einzelnen Mitgliedsstaat zusteht, Normen bezüglich Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die nicht dem öffentlichen Recht unterliegen, zu erarbeiten. In diesem Zusammenhang bemerkt der Gerichtshof, dass der Begriff „anerkannte Einrichtungen mit sozialem Charakter“, im Prinzip, so weitreichend ist um physische Personen, die in ihrem Betrieb Gewinnabsichten verfolgen, einzubeziehen.
Schlussendlich wird daran erinnert, dass in Italien der Kassationsgerichtshof mit Urteil Nr. 14846 vom 13. Juli 2020 die vom Sachwalter durchgeführte Tätigkeit von den wirtschaftlichen Tätigkeiten für MwSt.-Zwecke ausgeschlossen hat und zwar aufgrund der Unentgeltlichkeit des Vormundschaftsamtes.